Beziehungsexperte erklärt
Wirkliche Nähe entfaltet sich auf vier Ebenen / Mit dem Alter verschieben sich die Schwerpunkte / Königsdisziplin: Erkennen des Anderen als einzigartiges Wesen
München, 23. 05. 2019 – Liebe braucht echte Nähe, sonst kann sie sich nicht entfalten. Doch was ist das überhaupt: echte Nähe? Aus Sicht von Dr. Stefan Woinoff, Psychotherapeut und Beziehungsexperte beim Datingportal Zweisam, entfaltet sich menschliche Nähe auf vier unterschiedlichen Ebenen: Von der körperlichen über die emotionale bis hin zur intellektuellen und spirituellen Nähe. „Nicht für jeden sind alle Ebenen gleich wichtig“, betont Woinoff. Zudem ändern sich mit dem Alter die Bedeutungsschwerpunkte: „Während Sinnlichkeit und Emotionalität in der Jugend einen höheren Stellenwert genießen, legen viele Menschen in reiferen Jahren mehr Wert auf geistigen und auch spirituellen Austausch.“ Das heißt aber nicht, dass Erotik im Alter nicht wichtig ist, es gewinnen nur andere Aspekte der Nähe an Bedeutung hinzu. Die Königsdisziplin der Nähe führt laut Woinoff über das Erkennen des Anderen als unvergleichliches und einzigartiges Individuum.
Emotionale Nähe
Die emotionale Nähe steht in vielen Beziehungen am Anfang. Man freut sich, jemanden zu sehen und beginnt ihn zu mögen. Es gefallen einem die gleichen Dinge, man hat das Gefühl, von seinem Gegenüber verstanden zu werden und vertraut ihm immer mehr. „Bei emotionaler Nähe geht es um ein gutes Gefühl füreinander, aber auch um ein Lebensgefühl, das man miteinander teilt. Man merkt, dass man sich auch ohne viele Worte versteht, schwingt auf der gleichen emotionalen Wellenlänge; man (er)spürt den anderen also“, sagt Woinoff.
Körperliche Nähe
Auch körperliche Nähe kann am Anfang einer Beziehung stehen, entsteht aber häufig aus emotionaler Nähe, die dann auf die körperliche Ebene hinübergleitet. „Von der Umarmung eines guten Freundes über die Begrüßungsküsschen auf die Wangen bis hin zum Händchenhalten und zum Kuscheln – wir spüren instinktiv, dass körperliche Nähe nicht nur zur Liebe, sondern meist auch zu einer guten Freundschaft dazugehört.“ Die intensivste körperliche Nähe ist die sexuelle Vereinigung, in der im Idealfall alle Ebenen der Nähe zusammenfallen: Neben der körperlichen auch die emotionale, aber auch die intellektuelle und sogar spirituelle Ebene. Anders als immer wieder dargestellt, bleibt daher der Wunsch nach sexueller Nähe auch in reiferen Jahren präsent. „Sex wird oft sogar noch besser“, sagt Woinoff. „Das liegt daran, dass die Älteren die stressigste Zeit des Lebens hinter sich gelassen haben und sich jetzt mit Hingabe auf den Anderen einlassen können.“
Intellektuelle und spirituelle Nähe
Auch wenn Sex, und vor allem Zärtlichkeit, im Alter wichtig bleiben, so gewinnen oft die intellektuelle und spirituelle Nähe an Bedeutung. „Menschen mit gleichen Interessen, die sich lebhaft über ihre Themen austauschen, empfinden in der Diskussion oft eine sehr starke Nähe zueinander“, sagt der Zweisam-Experte. Gleiches gelte für spirituelle Nähe: „Wer gemeinsame spirituelle Erlebnisse hat, meist im Rahmen einer Glaubens-Gemeinschaft, empfindet oft ein starkes Gefühl der Geborgenheit und des Eins-Seins – ein klares Zeichen für echte Nähe.“
Laut Woinoff sind für den Einzelnen nicht alle Ebenen der Nähe gleich wichtig. Zudem ändern sich die Wichtigkeit und die Bedeutung der vier Ebenen in den unterschiedlichen Lebensphasen. „Menschliche Nähe wird natürlich nicht nur in einer Paarbeziehung spürbar, auch wenn die meisten erwachsenen Menschen hier die tiefsten Empfindungen von Nähe ersehnen und auch erleben.“ Jede Empfindung von wahrer Nähe setze darüber hinaus eine angstfreie Begegnung und einen vertrauten und offenen Umgang miteinander voraus.
Der Königsweg: Individuelle Nähe
Diese Aspekte sind auch unabdingbar für die Königsdisziplin der Nähe: Das echte Erkennen des Anderen als einzigartiges Individuum. Was sich leicht anhört, ist laut Stefan Woinoff alles andere als banal. So komme es bei der Begegnung von Menschen grundsätzlich zu einer „Übertragungsreaktion“: „Wir wenden Schablonen an, die uns helfen, andere einzuordnen und Handlungsmotive zu verstehen. Das ist normal und nichts Ungewöhnliches. Doch erst, wenn wir es schaffen, uns von diesen Projektionen zu lösen, sind wir in der Lage, unser Gegenüber frei von Zuschreibungen zu erkennen. Der andere fühlt sich dann richtig gesehen und antwortet bestenfalls damit, sich ebenfalls von seinen Übertragungen zu lösen. Auf diese Weise entsteht wohl die größte Nähe zwischen zwei Menschen.“